Die kulturelle Explosion von Kizomba
Jeden Abend in der Woche findet man hinter den verschlossenen Türen der Berliner Cafés, Lofts, Keller, Clubs und Studios eine verborgene Welt – eine Welt, die kein zufällig vorbeikommender Passant oder Kartenleser je finden könnte, ohne zu wissen, wo genau er suchen muss.
Diese Welt folgt nicht den dunklen und launischen Standards Berlins, sondern explodiert mit der Kultur Lateinamerikas, der Energie Angolas, der Lebendigkeit der Karibik. Hinter diesen Türen findest du einen Raum, in dem menschliche Verbindungen aufblühen, in dem Freude, Respekt und Bewegung zusammenkommen. Dir werden dort Menschen begegnen, die keine Angst haben, sich selbst herauszufordern, zu lernen, zu wachsen, verwundbar zu sein. Hinter diesen Türen liegt die Welt des Paartanzes – Salsa, Kizomba, Tango, Zouk, Bachata… und ich bin gerade dabei, sie zu betreten.
Ich stehe in mitten des Tanzstudios La Mambita in Berlin Kreuzberg, wo ich meine erste Kizomba-Stunde besuche. Das Studio hat einen ausgeprägten lateinamerikanischen Charakter: Es gibt eine Tiki-Bar, an der Getränke und Snacks während einer der vielen Tanz-Partys, die La Mambita veranstaltet, ausgeschenkt werden. Im ganzen Raum findest man Topfpflanzen sowie und die Wand hinter der Rezeption ist komplett mit Pflanzen behangen, was den Raum zur Hälfte wie ein Tanzstudio, zur anderen Hälfte wie einen Dschungel wirken lässt. Das Sonnenlicht strahlt durch die riesigen Fenster, ihr Licht wird durch eine Spiegelwand an einem Ende des Studios reflektiert.
Wer hätte gedacht, dass hinter den mit Graffiti vollgesprühten Doppeltüren einer Kreuzberger Straße ein so schöner Raum liegt? Aber wie wir alle wissen, steckt Berlin voller Überraschungen und das ist nur eine davon. Mein Lehrer, Johannes, begrüßt mich herzlich, als ich den Raum betrete. „Alice! Willkommen!“ Wie viele Tanzlehrer, die ich getroffen habe, umgibt ihn eine Ausstrahlung völliger Sicherheit und Leichtigkeit in seinen Bewegungen.
Johannes hat in den letzten Jahren maßgeblich an der Lehre und dem Aufbau der Berliner Kizomba-Szene mitgewirkt. Ein Tanz, von dem viele Menschen vor drei Jahren noch nie gehört haben, ist heute einer der bekanntesten in der Berliner Gesellschaftstanzszene.
Kizomba, angolanisch für „Party“, wurde ursprünglich in Angola gegründet und verbreitete sich in den 1970er und 80er Jahren über die portugiesisch-sprachigen Länder Afrikas. Es ist ein sanfter, sinnlicher Paartanz, bekannt für seine beharrlichen Rhythmen. „Kizomba gleicht in vielerlei Hinsicht dem Tango“, erklärt Johannes. „Er besteht aus ähnlichen Bewegungen und einer ähnlichen Verbindung der Oberkörper. Bei Kizomba jedoch ist jeder Schritt eine eigene kleine Entscheidung. Der Tanz selbst besteht nicht aus einer vorgegebenen Choreographie – man muss tatsächlich jeden einzelnen Schritt selbst führen oder folgen.“
Johannes leitet uns mit seiner Tanzpartnerin Anastasia durch ein Warm-up. Etwa 12 Personen sind in dem Kurs – eine gute Quote für einen sonnigen Sonntagnachmittag – und wir machen alle gleichzeitig einen Side-Step und es gibt eine kurze Einführung in die grundlegenden Schritte des Tanzes. „Kizomba ist einer der leichter zu erlernenden Tänze“, erklärt Johannes. „Beim Salsa muss man sich viele Schritte merken, besonders als führende Person.
Aber in Kizomba geht man einfach zusammen. Das einzige was du lernen musst, ist, wie du dich als Paar zusammen bewegen kannst. Eine gut führende Person kann selbst Leute führen, die den Tanz noch gar nicht kennen.“ Als wir mit dem Warm-up fertig sind, fanden wir uns pärchenweise zusammen. Dieser Teil macht mich immer besonders nervös. Ich bin es nicht gewohnt, in unmittelbarer Nähe von Menschen zu sein, geschweige denn von völlig fremden.
Aber andererseits ist das für viele Menschen genau der Grund, warum sie zu Partnertanzkursen kommen. „Ich denke, dass die Menschen in der westlichen Gesellschaft allgemein nicht genügend körperlich interagieren“, sagt Johannes. „Ich denke, viele Menschen kommen zum Kizomba, um sich mit anderen Menschen verbunden zu fühlen. Es ist wie bei Tieren, die sich gegenseitig pflegen. Es ist einfach wichtig, körperlichen Kontakt mit anderen Mitgliedern seiner Art zu haben. Und Kizomba erfüllt diese Rolle für viele Menschen sehr gut.“ Dieser Tiervergleich klingt etwas seltsam, aber sobald wir anfangen zu tanzen, wird mir klar, was er meint. Es hat etwas sehr Beruhigendes, mit jemand anderem zu tanzen, Schritten zu folgen und gemeinsam zu lernen.
Johannes und Anastasia stehen in der Mitte der Gruppe und zeigen einige Schritte und Sequenzen. Das üben wir nun einige Minuten mit unserem Partner, bis wir wechseln und die nächsten Schritte lernen. Das bedeutet, dass ich mit jedem in der Klasse mindestens zweimal während der gesamten Stunde tanze – was zwar einschüchternd, aber gleichzeitig auch der effektivste Weg ist, den Tanz zu lernen.
Es dauert nicht lange, bis ich mich beim Kizomba wirklich wohl fühle. Die Schritte sind einfach und meine Tanzpartner freundlich und geduldig. Obwohl Johannes auch einmal „eingreifen“ muss, um mir zu helfen. „Halte deine Arme locker und lass‘ die ganze Spannung in deinem Körper los“, sagt er. Ich folge seinen Anweisungen so gut wie möglich, ohne zu stolpern. Als ich die Schrittfolge mit meinem Partner danach wiederhole, geht es schon viel einfacher und flüssiger. „So langsam habe ich den Dreh raus“, denke ich mir.
Bei Paartänzen geht es oft darum, eine starke Verbindung zu seinem Partner zu finden. Mit Kizomba ist es möglich, sich mehr auf sich selbst zu konzentrieren und einfach den Schritten zu folgen, als der tiefen, konstanten Verbindung, die man beim Tanzen von Salsa oder Zouk pflegen muss… Johannes entdeckte Kizomba zufällig. „Ich fing damit an, Salsa zu tanzen, es folgten Bachata und Cha Cha und dann Kizomba, das einfach zufällig in mein Leben kam.
Ich war 2009 auf einem Tanzfestival in Kroatien. Alle sagten mir, ich sollte diese Kizomba-Area ausprobieren. Ich erinnere mich, dass ich das etwas lächerlich fand – das ist sicher nur eine Hype, der bald wieder vorbei sein wird. Aber ich versuchte es und seitdem tanzte ich mehr und mehr Kizomba.“
Es kann schwierig sein und lange dauern, eine Tanzszene aufzubauen. Aber Kizomba hat in den letzten Jahren an Popularität stark zugenommen. Johannes glaubt, dass es eine Kombination aus Glück und harter Arbeit ist. „Es ist ein großes Glück, Räumlichkeiten zu finden, die bereit sind, Veranstaltungen solange zu unterstützen, bis sie groß und populär sind. Sobald sie wöchentlich stattfinden, laufen sie quasi von alleine. Menschen kommen regelmäßig, andere schauen unglaublich guten Tänzern zu, lassen sich inspirieren lassen und in der nächsten Woche kommen sie wieder. Das hält die Veranstaltung am Leben. Und wenn man Leute in den Kursen & Workshops hat und Partys stattfinden, läuft es wie von selbst.“
Mit „Partys“ meint Johannes die, die alle zwei Wochen im Soda Club im Prenzlauer Berg stattfinden. Jeden Sonntag und Donnerstag gibt es große Tanzpartys. Die verschiedenen Räume im Soda sind dann verschiedenen Tänzen gewidmet – Salsa, Bachata, Zouk, Tango, Kizomba – jeweils mit einem DJ, der die passende Musik auflegt. Diese Partys sind in Berlin etabliert und maßgeblich für die florierende Berliner Tanzszene verantwortlich.
„Zur Musik zu tanzen, ist eines der besten Dinge, die jeder für sein geistiges Wohlbefinden machen kann“, sagt Johannes. Und als unser Kurs sich dem Ende neigt, kann ich mich mit dem, was er sagt, voll und ganz identifizieren. Ich betrat die Stunde nervös und schüchtern, meiner mangelnden Fähigkeiten bewusst. Aber während wir unsere letzten Schritte tanzen, bin ich begeistert von allem, was ich gelernt habe und geflasht von der wunderbaren Erfahrung, die ich mit meinen Tanzpartnern gemacht habe.
Als ich meine Sachen zusammenpacke, habe ich ein breites Grinsen auf dem Gesicht und frage unsere Lehrerin Anastasia, wie sie Kizomba entdeckt hat. „Vor zwei Jahren zwang mich meine Schwester, mit ihr einen Kurs zu machen“, erzählt sie mir. „Ich hatte noch nie zuvor getanzt und wollte wirklich nicht mitgehen… Und Johannes war die erste Person, mit der ich getanzt habe.“
Für eine Sekunde bin ich sprachlos. Da sie Lehrerin ist, nahm ich an, dass Anastasia seit vielen Jahren tanzt. Sie muss keine Ahnung gehabt haben, welche Auswirkungen der erste Kizomba-Kurs auf ihr Leben haben würde. Aber wie wir alle wissen, steckt Berlin voller Überraschungen – man muss nur wissen, wonach man suchen muss.
Wenn du Kizomba ausprobieren möchtest, haben wir viele Tanzpartner in Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien. Wirf einen Blick auf unsere Webseite, um zu sehen, was dort los ist. Und schau auf der Seite von La Mambita vorbei, dort findest du ihren Kalender mit den Tanzkursen.
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