Parkour: Überwinde jedes Hindernis
Hilário Freire, Gründer von Spot Real ist am Verhungern. “Stört es dich, wenn ich mir schnell Kaffee und Kuchen hole?”, fragt er. Es ist ein heißer Tag im Westen Lissabons. Wir stehen außerhalb einer Lagerhalle, die Hilário 2015 in Portugals erste Parkour-Akademie umwandelte. “Es ist nur schnell über die Straße”, sagt er. Wir erreichen ein süßes, typisch portugiesisches Café mit Mosaikfliesen und hell tapezierten Wänden. Das Viertel wird immer beliebter – das kann ich an den umgestalteten Lagerhallen und den selbst betriebenen Coffeeshops sehen.
Während Hilário Kaffee und Kuchen genießt, erzählt er mir von seinem Plan mit der Parkour Akademie und wie er auf diesen Sport gekommen ist. “Ich war 22 als ich mit Parkour begonnen habe”, erzählt er. “Jetzt bin ich 35. Davor habe ich Kampfsport gemacht, doch seit ich Parkour für mich entdeckt habe, wollte ich nichts anderes mehr machen.” Hilário hatte sich in die Spielereien von Parkour verliebt. In seinen absoluten Anfängen gab es in Lissabon noch nicht mal Fitnessstudios, die Parkour angeboten haben. Also hat er, zusammen mit einer Gruppe von fünf oder sechs Leuten, sich dazu entschieden, die Stadt als Trainingsplatz zu nehmen. “Du fängst nicht auf Hausdächern an”, sagt Hilário. “Du beginnst bei Level 0. Also habe ich mich an jedem Stein, Felsbrocken, Bäumen und Wänden versucht – so elegant wie möglich darüber zu springen. Ich habe alles auf Video aufgenommen, um neue Techniken auszuprobieren und meine alten zu verbessern.”
Leute, die den Sport noch nicht kennen, haben großen Respekt vor Parkour. Wände hochsprinten, sich über Hindernisse hinweg bewegen oder auch über Hausdächer rennen. Doch Hilário erklärt, dass jeder mal klein anfängt. “Ich habe meine Salti am Strand gelernt”, sagt er. Nach vielen Jahren Training in den Straßen Lissabons, entschied sich Hilário dazu, ganz seiner Leidenschaft nachzugehen und eröffnete mit 3 Mitgründern das erste Parkour-Fitnessstudio Portugals. “Es gab ähnliche Fitnesseinrichtungen in ganz Europa, jedoch kein einziges in Portugal. Wir haben diesen Ort hier gefunden und er war komplett zerstört. Wir haben alles von Null an aufgebaut.”
Bei Sport Real trainiert Hilário Leute jeder Altersgruppe und mit verschiedenen Fitnessleveln – von jungen Mädchen bis hin zu 50 Jahre alten Männern. Und seit er sein Fitnessstudio aufgemacht hat, wuchs Portugals Parkour-Community von einer Handvoll Leuten auf hunderte. “Es geht immer um die Komfortzone”, erklärt Hilário. “Wir bewegen uns immer nur darin. Also ist deine Komfortzone zum jetzigen Zeitpunkt sehr klein. Doch schon bald wirst du dich langweilen und andere Dinge ausprobieren wollen. Dann erweitert sich automatisch auch deine Komfortzone. So steigerst du dich im Laufe der Jahre.”
Es ist an der Zeit, seine Theorie in die Praxis umzusetzen. Hilário isst seinen Kuchen auf und wir laufen zurück zur Lagerhalle. Von innen sieht Spot Real wie ein gigantischer Spielplatz aus. Es gibt Matten, Barren, Boulder, Schaumstoffbecken, Matratzen, Plattformen und Hindernisse aller Höhen und Größen – Dinge, über die ich bald springen, Salti schlagen und eintauchen werde. Meine Komfortzone fühlt sich gerade verdammt klein an und ich verspüre den sehnlichen Wunsch, unbedingt darin zu bleiben.
Ich renne im Fitnessstudio umher, um mich aufzuwärmen und verschiedene Hindernisse, die auf meinem Weg liegen, zu überwinden. “Unsere erste Übung, wird ein Sprung über dieses Turnpferd sein.” sagt Hilário. Er zeigt mir, wie ich ein Bein darüber schwinge und auf die andere Seite springe. Das Pferd ist beinahe auf meiner Schulterhöhe, so dass ich vor dem ersten Versuch durchaus etwas Respekt habe. Ich mache alles ganz langsam. Der nächste Versuch ist schneller und besser und beim dritten segle ich regelrecht darüber hinweg. “Ok, jetzt benutze mal nicht deinen Fuß, sondern springe und drehe dich dabei auf die andere Seite”, weist Hilário an. Das ist sehr viel einschüchternder, doch nach zwei Versuchen gelingt es mir. Nach jeder Aufgabe, die ich absolviert habe, kommt Hilário mit einer neuen und herausfordernden um die Ecke. Jedoch hat er komplett recht, denn es geht nur darum, deine Komfortzone zu vergrößen und ich mache schnell Fortschritte.
Nach ein paar Balanceübungen sagt Hilário zu mir “Jetzt ist es an der Zeit, die Wand in Angriff zu nehmen.” Das eskaliert sehr schnell dachte ich bei mir. Er zeigt auf eine hohe Wand, die fast doppelt so hoch war wie ich und einer Stand ganz oben. “Renn hoch, greife die Stange und ziehe dich selbst nach oben”, leitete er an.
“Das kann ich nicht”, antworte ich.
“Doch, du kannst es”, erwiderte er.
Ich atme tief durch, mache mich bereit und renne, so schnell ich kann, auf die Wand zu. Ich greife die Stange und hieve mich daran hoch.
“Siehst du!”, sagt er triumphierend, als ich ihn von der obersten Platte aus anschaue. “Du hast hier unten gestanden und behauptet, du kannst es nicht und jetzt stehst du da oben!” Ich platze fast vor Stolz. “Jetzt nochmal”, sagt er.
Jedesmal wenn ich eine Aufgabe geschafft habe, gibt mir Hilário eine schwierigere. Genau aus diesem Grund habe ich ein flaues Gefühl im Magen als er auf das Schaumstoffbecken zeigt. Es ist ein Becken, das die Größe eines Schwimmbades hat und mit Schaumstoffstücken und Matratzen gefüllt ist. Eine Seite ist ca. 1,5 Meter hoch und die andere geschätzt 3 Meter. Ich starre nach unten zum Schaumstoff und Hilário sagt “Dreh dich um und lass dich auf die Matratze fallen. Das nennt man auch Vertrauens-Fall.” (Ich habe es sofort in ‘Todesfall’ umbenannt.)
Ich weiß, dass ich es einfach nur hinter mich bringen möchte, also drehe ich mich um, nehme meine Arme an die Seite und stürze mich rückwärts in den Graben. Mir ist ganz flau im Magen, doch sobald ich unten lande, schießt Adrenalin ein. “Großartig!!!!, sagt Hilário. “Gut gemacht” Er ist sichtlich zufrieden, doch ich weiß genau, dass es das noch nicht war.
“Jetzt mach einen Vorwärtssalto.”
“Auf gar keinen Fall”, antworte ich. Das kann ich nicht, ich habe zuviel Angst. Hilário bringt eine Matratze auf die Plattform nach oben und ich soll einige Purzelbäume machen. Ha, das ist leicht denke ich. Doch nach ein paar Minuten sagt mir Hilário, dass ich den Vorwärtssalto nochmal versuchen soll.
Ich stehe am äußersten Ende des Schaumstoffbeckens und mir ist ein wenig übel. Nur weil ich mit dem Bewegungsablaufes eines Vorwärtssaltos vertraut bin, habe ich keine allzu große Angst davor. Dieses Mal nehme ich einen tiefen Atemzug und mache es einfach.
“JA!!! Super gemacht!”, sagt Hilário, als ich auf meinem Rücken im Schaumstoff lande. “Nur das erste Mal zählt nicht, es könnte Zufall gewesen sein. Du musst es wiederholen.” Ach verdammt. Ich klettere aus dem Becken und wiederhole das ganze Fiasko völlig entkräftet und ganz benommen vor Angst und Adrenalin.
“Das große Finale”, sagt Hilário. “Versuch den Todesfall von der 3-Meter-hohen Seite.” Als ich mich auf den Weg zur höheren Plattform mache, fühle ich mich auf einmal . Sobald ich oben angekommen bin, schaue ich ihm in die Augen und sage:
“Wenn ich das hier mache, war es das dann? Nicht mehr?”
“Nicht mehr”, sagt er. “Versprochen.”
Also drehe ich mich um, schließe meine Augen und falle rückwärts ins Leere.
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