Alte und neue Liebe

Wenn Victor Thiele über Yoga redet, dann geht es in der Regel um die ganz großen Gefühle. „Ohne Yoga”, sagt er, „kann ich mir mein Leben gar nicht mehr vorstellen.” Victor ist selbst passionierter Yogi und Lehrer sowie Inhaber von yogafürdich in Berlin. Yoga bestimmt sein Leben seit über 20 Jahren. Und so verwundert es kaum, dass auch seine allererste Yogastunde ein ganz großes Gefühl war: Liebe auf den ersten Blick. 

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©Stefan Haehnel

„Ich war gerade beim Krafttraining, als ein Freund vorschlug, danach noch zum Yoga zu gehen. Das Thema war Ende der 90er-Jahre noch nicht so groß wie heute, aber der Kurs war voll”, erzählt Victor. Voller Neugier ging er aus dem Gym hinein ins Yogastudio. Heraus kam er mit wackeligen Knien und einem Lächeln im Gesicht. „Mein Gedanke war: Das ist etwas, was ich mein Leben lang schon immer gesucht hatte. Ich war voll in meiner Mitte, war glücklich, fühlte mich gereinigt. Nur durch eine Yogastunde, das hat mich total geflasht. Ich habe die gesamten 90 Minuten absorbiert, hatte keine anderen Gedanken im Kopf als die nächste Position, wo mein Steißbein ist, wo links und rechts. Das war schon besonders.”

Vom Party Kid zum Yogalehrer

Dieses Gefühl sollte fortan Victors Leben verändern und zu seiner Passion werden. Nach dem ersten Kurs lässt ihn Yoga nicht mehr los. Er besucht regelmäßig und immer öfter Kurse, beginnt eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann, absolviert dabei ein halbjähriges Praktikum in einem Yoga-Ashram, arbeitet als Yogalehrer in Fitness- und Yogastudios. Weil ihm seine Kursteilnehmer gut zureden, entscheidet er sich, eigene Räume zu mieten. Heute lehrt er in vier eigenen Studios von yogafürdich in Berlin. 

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„Früher war ich ein Party Kid. Das war auch cool, aber durch Yoga habe ich begonnen, mehr Stabilität zu fühlen, es hat mir Kraft gegeben”, sagt Victor. „Es ist perfekt, um die Emotionen auszugleichen. Wenn ich überdreht bin, bin ich danach ruhiger und wenn ich lethargisch bin werde ich aktiver.” Auch während der Pandemie hat es ihn selbst gestärkt. Jeden Morgen hielt er sich fit, entweder mit Crosstraining oder eben Yoga. Nur die Menschen um ihn herum, der Austausch mit seinen Schülerinnen und Schülern, den er so liebte, war auf einmal weg. „Das macht etwas mit einem”, sagt er.


©Stefan Haehnel

Die Nähe fehlt

Sechs bis neun Stunden pro Woche hat Victor während der Pandemie selbst über Live Online-Kurse unterrichtet. Etwas, an das er sich erst einmal gewöhnen musste. „Was ich aber auf jeden Fall weitermachen will”, wie er sagt. „Der Mehrwert ist klasse, online kann ich Yoga jederzeit zu jedem Menschen an jeden Ort bringen.”

Und dennoch: Die Nähe zur Community fehlte ihm lange Zeit. So wurde Victor gerade während der Pandemie noch einmal so richtig klar, dass es eigentlich zwei Leidenschaften in seinem Leben gibt: Yoga für sich selbst – und das Lehren von Yoga innerhalb seiner Community, das in den vergangenen Monaten nur begrenzt möglich war. „Ich hätte nie gedacht, dass mir Umarmungen so sehr fehlen können. Das Arbeiten mit meinen Schülerinnen und Schülern, ihnen bei den Asanas zu helfen. All die Gespräche. Man bekommt viel zurück, wusste das in normalen Zeiten aber gar nicht so richtig zu schätzen”, erzählt er. „Manche haben mich auch angeschrieben, gefragt, ob alles ok ist. Sie wollten mir Geld leihen, sogar schenken. Das fand ich alles sehr berührend und mir ist so richtig bewusst geworden, wie wichtig yogafürdich für viele Menschen ist.”

Die Freude steht im Vordergrund

Und so ist es sein Ziel, in Zukunft noch mehr zurückzugeben. In der Pandemie hat er damit begonnen, sich noch mehr mit der Philosophie, die hinter Yoga steht, zu beschäftigen. „Yoga ist für mich die Vereinigung von Körper, Geist und Seele. Es geht darum, eine umfassend optimistische und selbstreflektierte Persönlichkeit zu werden”, sagt Victor. „Das Thema Yogaphilosophie ist ein sehr breitgefächertes, selbst für mich gibt es da noch viel zu lernen. Das werde ich nun verstärkt machen, doch das wird ein paar Jahre in Anspruch nehmen.” 

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©Stefan Haehnel

Im nächsten Jahr wird Victor 50 Jahre alt und er hat schon einiges erreicht. Eine Koryphäe auf dem Gebiet des Yoga ist er ohnehin schon, das hat nichts mit dem Alter zu tun. Victor ist mit sich im Reinen, auch dank Yoga. „Viele Menschen, die ich kenne, mich eingeschlossen, wollen einfach schnell wieder vergessen, was da mit der Pandemie war”, sagt er. „Jetzt steht die absolute Vorfreude im Vordergrund, sich wiederzusehen, zu umarmen, zu reden. Dadurch, dass ich so viele Schüler*innen habe und wir nicht direkt wieder mit 70 Leuten in einem Raum starten werden, dürfte sich dieses Kennenlernen allerding über Monate ziehen, so wie schon nach dem ersten Lockdown”, ahnt er. 

Liebe auf den ersten Blick? Dieses Mal eher das Gefühl einer alten Liebe, die neu aufflammt. Victor und seine Community freuen sich darauf.

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